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Flüchtlingsintegration durch Ausbildung im Gastgewerbe

Ein Zwischenbericht

Ende 2015, auf dem Höhepunkt der gesellschaftlichen Debatte, erfand die Bürgerstiftung Rohrmeisterei ihr Projekt „Flüchtlingsintegration durch Ausbildung im Gastgewerbe“, brachte es im Januar 2016 mit ersten Teilnehmern an den Start und entwickelt es seitdem stetig weiter. Die Schwerter Bürgerstiftung hat damit eines der ersten Modelle für die berufliche Integration von Flüchtlingen entwickelt – „vor dem Hintergrund des damaligen Höhepunkts beim Zustrom von Menschen nach Deutschland war uns ein schnelles und pragmatisches Signal wichtig“, erinnert sich Stiftungsvorstand Tobias Bäcker.

Schon 2015 waren zwei reguläre Ausbildungsplätze an einen jungen Syrer und einen jungen Aserbaidschaner vergeben worden. Anfang 2016 begann die Systematisierung in einem dreistufigen System:

  • Vorbereitungsgespräch, mehrtägige Hospitanz in den Bereichen Küche und / oder Service, Nachbereitungsgespräch, danach Entscheidung zur Teilnahme an der Einstiegsqualifizierung (EQJ).
  • EQJ mit der Dauer eines Jahres (in der ersten Staffel ein halbes Jahr) samt betrieblichem Ausbildungseinstieg, ggf. Berufsschulbesuch und betrieblich organisiertem Sprachkurs, danach Entscheidung zur Übernahme in ein Ausbildungsverhältnis
  • Ausbildung in den Berufen Koch / Köchin und Restaurantfachmann / frau.

Zwei Jahre und x Maßnahmeteilnehmer später wird Zwischenbilanz gezogen. Und um es vorweg zu sagen: Dass beispielsweise Mohammed Abdeen, Amadou Oury Bah und Thierno Mamadou Diallo heute als angehende Köche im Feinschmecker-Restaurant der Bürgerstiftung die Gäste mit kulinarischen Köstlichkeiten, aber auch Spezialitäten aus ihren Herkunftsländern verzaubern und damit eine sichere berufliche Perspektive in einer von Fachkräftemangel geplagten Branche haben, zeigt den mess- und schmeckbaren Erfolg des Projekts.

ZAHLEN UND FAKTEN

Einstiegsqualifizierung Phase I – 2/16 bis 7/16: 7 Teilnehmer

  • Einstiegsqualifizierung für 6 Monate in den Bereichen Küche, Service und Veranstaltungstechnik
  • Flüchtlinge zwischen 19 und 29 Jahre alt
  • Heimatländer: Irak, Iran, Pakistan, Ghana und Guinea
  • Durchführung eines betriebsinternen Sprachkurses auf eigene Kosten (3 Vormittage pro Woche)
  • Freiwillige Aufstockung des von der Bundesagentur für Arbeit gewährten Zuschusses (212 € zzgl. Sozialversicherung) auf reguläres Azubigehalt
  • Kein Besuch der Berufsschule

Zum 1.8.16:

  • Übernahme von 3 Flüchtlingen in reguläre Ausbildungsverhältnisse (2 als Koch, 1 als Restaurantfachmann
  • Besuch der Berufsschule
  • Übernahme eines Flüchtlings als Teilzeitkraft im Bereich Technik
  • Heimatländer: Irak, Ghana, Guinea, Pakistan
  • Durchführung eines betriebsinternen Sprachkurses auf eigene Kosten

Einstiegsqualifizierung Phase II – 8/16 bis 8/17: 3 Teilnehmer

  • Einstellung dreier weiterer Flüchtlinge
  • Einstiegsqualifizierung für 12 Monate in den Bereichen Küche (2) und Service (1)
  • Flüchtlinge 17, 19 und 26 Jahre alt
  • Heimatländer: Irak, Guinea, Palästina (Gaza-Streifen)
  • Freiwillige Aufstockung auf reguläres Azubigehalt
  • Besuch der Berufsschule
  • Durchführung eines betriebsinternen Sprachkurses auf eigene Kosten

Zum 1.8.17:

  • Übernahme von einem Flüchtlingen in ein reguläres Ausbildungsverhältnis (als Koch)
  • Besuch der Berufsschule
  • Heimatland: Guinea
  • Durchführung eines betriebsinternen Sprachkurses auf eigene Kosten

Die Aufstockung der Teilnehmerzahl konnte dank der Unterstützung eines Großspenders verwirklicht werden.

Einstiegsqualifizierung Phase III – seit 8/17: 2 Teilnehmer

  • Einstellung zweier Flüchtlinge
  • Einstiegsqualifizierung für 12 Monate im Bereich Küche (2)
  • Flüchtlinge 23 und 26 Jahre alt
  • Heimatländer: Irak
  • Freiwillige Aufstockung auf reguläres Azubigehalt
  • Besuch der Berufsschule
  • Durchführung eines betriebsinternen Sprachkurses auf eigene Kosten

Qualifizierungsteilnehmerzahl insgesamt: 12

Ab August 2018 sollen – neben der Übernahme der jetzigen Teilnehmer in Ausbildungsverhältnisse – erneut Plätze für neue Einstiegsqualifizierungen besetzt werden.

Im Gespräch mit den Akteuren wird deutlich: Der Ansatz heißt „Augenhöhe.“ Zwar zeichnet sich Schwerte mit seinem seit Jahrzehnten bestehenden „Arbeitskreis Asyl“ und unzähligen Helfern, Paten und Kümmerern für die rund 1000 in der Stadt lebenden Geflüchteten durch eine Willkommenskultur im besten Sinn, durch ein System des ehrenamtlichen sozialen Engagements aus. Und die Paten des Arbeitskreises haben auch die Maßnahmeteilnehmer in der Rohrmeisterei begleitet. Das Projekt wählt jedoch einen anderen als den rein sozialen Ansatz. „Die Suche der Gastronomie nach Fachkräften und die Leistungsbereitschaft der Teilnehmer müssen zusammenfinden und tun es auch,“ sagt Michéle Demant.

EINSTIEGSQUALIFIZIERUNG

Die Einstiegsqualifizierung gemäß § 54a SGB III ist ein arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Erlangung beruflicher Handlungsfähigkeit. Sie ist auf ein Jahr Dauer befristet (Ausnahmeregelung: ½ Jahr für die erste Staffel), das später ggf. teilweise auf die Ausbildungslaufzeit angerechnet werden kann., . Zielgruppe der Einstiegsqualifizierung sind neben jungen Deutschen und EU-Bürgern mit Vermittlungshindernissen auch Flüchtlinge, die auf diesem Weg an eine spätere Ausbildung herangeführt werden sollen.Während der EQ absolviert der Maßnahmeteilnehmer wie ein Auszubildender Zeitphasen im Betrieb und in der Berufsschule. Die Grundvergütung wird durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert. Die Bürgerstiftung Rohrmeisterei hat die Bezüge für ihre Teilnehmer auf den Lohn eines Auszubildenden im ersten Lehrjahr aufgestockt.

Die Bundesagentur für Arbeit / Zweigstelle Schwerte hat das Projekt gemeinsam mit der Rohrmeisterei entwickelt, evaluiert und fortgeschrieben. In Schwerte hat das Vorreiterprojekt der Rohrmeisterei mehrere weitere Betriebe animiert, ebenfalls EQJ-Plätze anzubieten.

Die Bürgerstiftung Rohrmeisterei betreibt das Kulturzentrum im Industriedenkmal in den Schwerter Ruhrwiesen seit fünfzehn Jahren ohne öffentliche Zuschüsse – für gemeinnützige Kulturveranstalter werden die Säle kostenlos bereitgestellt und darüber hinaus eigene Kultur-Events mit hochkarätigen Künstlern sowie Jugendkulturprojekte finanziert. Nicht aus Subventionen, sondern aus den Überschüssen der eigenen Gastronomie. Mit ihren gut 60 festangestellten Vollzeit-Mitarbeitern ist die Gastronomie der Bürgerstiftung also – auch – ein sozialunternehmerischer Wirtschaftsbetrieb – und daher mit dem Fachkräftemangel einer Branche, in der Abend- und Wochenendarbeit an der Tagesordnung sind, bestens vertraut. „Dass wir Flüchtlinge qualifizieren und integrieren, entspricht auf der einen Seite unseren gemeinnützigen Satzungszwecken,“ erläutert Syndikusrechtsanwältin Michéle Demant, „andererseits geschieht es im wirtschaftlichen Zweck- bzw. Geschäftsbetrieb der Stiftung und verbraucht keine Spenden oder Stiftungserträge, es sei denn sie sind zweckgebunden für das Projekt.“ Eine Konstellation, die beispielsweise für die Stiftungsaufsicht Neuland ist – mit den Behörden diskutiert die Bürgerstiftung den vermeintlichen juristischen Sonderfall noch heute.

Auch für auf betriebliche Belange abgestimmte Sprachkurse hatte die öffentliche Hand keine Lösung parat. „Nachdem weder die kommunal organisierten Integrationskurse noch die Berufsschule sich in der Lage sahen, eine auf unsere Betriebs- und Arbeitszeiten bzw. das Sprachniveau unserer Teilnehmer abgestimmte Lösung auch nur anzudenken, haben wir das selber in die Hand genommen“, berichtet Bäcker auch hier das zupackende Vorgehen nach dem Motto „erstmal anfangen – Strukturen kommen später.“ In 2016 und 2017 hat die Bürgerstiftung die Kosten selbst getragen, für 2018 wird noch eine Lösung gesucht.

Inzwischen ist das betriebliche Unterstützungsprogramm zu einem gezielten Nachhilfeunterricht für die Berufsschule weiter entwickelt worden – ein Angebot, das auch den deutschen Auszubildenden, neben den thematischen betriebsinternen Schulungen, zur Verfügung steht. Die Gleichbehandlung der deutschen Auszubildenden und der über die EQJ in Ausbildung gekommenen Flüchtlinge ist ein wichtiges Signal – materielle Ausstattung, individuelle Förderung, die Übertragung von Verantwortung, aber auch die Übernahme unangenehmer Aufgaben im Ausbildungsalltag gelten für alle gleichermaßen. Hinzu kommt ein regelmäßiger Treff als Anlaufstelle und Gesprächsmöglichkeit für alle Auszubildenden. „Nicht nur finanziell, auch mit Blick auf Aufgabenverteilung, Arbeitszeiten usw. behandeln wir die Flüchtlinge wie normale Auszubildende. Sie werden nicht für einfache Hilfstätigkeiten eingesetzt sondern bekamen ganz konkrete, berufliche Perspektiven“, berichtet Michele Demant.

MENSCHEN

Amadou Oury Bah wurde am 19.1.1997 in Kindia / Guinea geboren. Er besitzt die guineische Staatsangehörigkeit, ist ledig und hat keine Kinder. In Guinea hat er sechs Jahre die Schule besucht, jedoch ohne Abschluss. Im Alter von 16 Jahren hat er seine Heimat allein verlassen, nachdem er in dem zu 95% islamischen Land zum Christentum konvertiert war, was ihm seine Eltern bis heute nicht verziehen haben. Über Mali und Libyen ist Amadou Bah dann über die klassische Mittelmeerroute mit dem Boot nach Italien gekommen. Eine Verletzung, die in Italien nicht behandelt wurde, und das Leben auf der Straße bewogen ihn schließlich zur Weiterreise nach Deutschland. Amadou Bah befindet sich seit Mai 2015 in Deutschland. Er hat zum 1.2.2016 die Einstiegsqualifizierung zum Koch in der Rohrmeisterei begonnen. Diese wurde zum 22.5.2016 2 vorzeitig beendet, da die Gefahr der Abschiebung bestand, denn er war über Italien eingereist und auch dort registriert (Dubliner Übereinkommen). Er befand sich daraufhin für 3 Monate im Kirchenasyl bei der Freien Evangelischen Gemeinde Schwerte. Danach begann er zum 24.8.2016 seine Ausbildung zum Koch in der Rohrmeisterei. Auf die Frage nach seinen Wünschen für die Zukunft sagt er: „Ich möchte ein guter Koch werden. Und in der Rohrmeisterei lernt man genau das; richtig gut zu kochen.“

Amadou Oury Bah, Mohammed Abdeen, Thierno Mamadou Diallo und Saaed Ali Khudeda sind aktuell die angehenden Köche im Flüchtlingsprojekt der Rohrmeisterei. Der handwerkliche Ansatz der Koch-Ausbildung hat sich für das Projekt im Vergleich zum kommunikativen Ansatz im Restaurant-Service als besser geeignet herausgestellt und wird nun ausgebaut. Die vier bringen nicht nur Lebenserfahrung aus der Extremsituation „Flucht“ mit  an den Arbeitsplatz. Sondern auch ihr kultureller Hintergrund und der Geschmack von Heimat fern der Ruhrstadt sind stets mit im Gepäck. Die kulinarischen Vorlieben, die Gewürze und Lieblingsessen, die kulinarischen Traditionen erweitern auch den Horizont der etablierten Crew. „Eine Reispfanne aus meiner Heimat bei der Eröffnung des neuen Genuss Kabinetts zu kochen und zu servieren, war für mich ein Höhepunkt des Jahres.“ Amadou Oury Bah sieht in der Resonanz der Kundschaft auf seine Arbeit Motivation und Ansporn. „Ich möchte weitermachen, Gäste glücklich machen.“

„Ich will lernen und mich Weiterentwickeln, für Menschen kochen.“ Wenn Thiero Mamadou Diallo erzählt, dann ist in jeder Zeile Ehrgeiz und Leidenschaft für den Beruf zu spüren. Etwas erreichen, etwas Schaffen, das Gelernte im Arbeitsalltag umsetzen - das sind Ziele der jungen Kulinarikhelden und damit sind sie ganz nah am Rohrmeistereianspruch – ganz unabhängig von Nationalitätenfrage oder persönlichem Hintergrund. Wenn alles passt, wenn alle Abstimmungen und Zutaten sicher gewählt sind, dann ist es am Ende ein bunter, reicher Tisch und eine Bereicherung für alle Mitarbeiter. Der Schmelztiegel Rohrmeisterei funktioniert schließlich wie ein gelungenes Gericht: die Zutaten müssen passen, dann kann Besonderes passieren.

Resonanz

  • Vorstellung des Projektes beim Tag des Hotel- und Gastgewerbes“ (Gemeinschaftsveranstaltung der IHK zu Dortmund und der DEHOGA Westfalen) am 20. April 2016
  • bei einer Informationsveranstaltung der „Wirtschaftsförderung Schwerte“ am 14. Juni 2016
  • beim IHK-Wirtschaftsgespräch am 30. Juni 2016
  • Ausstrahlung eines Beitrages in der Sendung „Westpol“ des WDR
  • Vielfache Berichterstattungen in örtlicher Presse.
  • Wolfram Kuschke, Staatsminister a.D. und Kuratoriumsmitglied der Rohrmeisterei, hat das Projekt im NRW-Integrationsministerium vorgestellt. In einem Schreiben des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW wird das „frühzeitige Engagement der Bürgerstiftung Rohrmeisterei bei der Qualifizierung und Beschäftigung von Flüchtlingen“ begrüßt.

Im Herbst 2016 haben Kuratorium und Stifterversammlung der Rohrmeisterei die Flüchtlingsintegration als Satzungszweck der Bürgerstiftung ergänzt und damit das Engagement nachhaltig gemacht.

Die neuen Mitglieder des Rohrmeisterei-Teams erzählen vom Gelernten: „Wir müssen Schauen und Begreifen.“ Immer auf Zack sein, rasch das Gelernte anwenden und stets auf Uhrzeit und Geschwindigkeit achten. Das ist für alle typisch Deutsch: Leistung und Zeit. „Wir wissen, was pünktlich heißt.“ sagen sie grinsend und auch etwas stolz. Übereinstimmungen finden sich leicht bei der Vorliebe für Gastfreundschaft und Esskultur. Auch, wenn bei allen daheim nicht das Restaurant, sondern der heimische Esstisch Treffpunkt war. Die Chance auf eine Arbeit ist für alle etwas ganz Besonderes und sie sind dankbar. „Das haben nicht alle.“ Die jungen Menschen träumen von Selbstständigkeit und der Freiheit einer eigenen Wohnung. Auch der Wunsch nach einem fahrbaren Untersatz unterscheidet sie wohl nicht deutlich von allen anderen Neuankömmlingen im Team der Rohrmeisterei. Familie, vielleicht mal selbst Menschen bekochen - alles Ziele, die durch die Ausbildung in der Gastronomie der Bürgerstiftung erreichbar geworden sind. Und wenn dann mal Besuch kommt, wissen die Neu-Rohrmeisterei-ler schon genau, was sie neben ihrem Arbeitsplatz zeigen wollen: „Die Ruhr liegt gleich hier hinter dem Gelände. Ein schöner Fluss. Aber die Wälder sind auch wunderschön: So große, alte Bäume.“ Optimismus, soziale Kompetenz und Zukunftsorientierung, das zeichnet die Rohrmeisterei-Neueinsteiger aus.

„Es soll helfen, aber auch fordern. Es soll schnell gehen, aber auch nachhaltige Perspektive bieten. Und es soll zum Nachahmen ermutigen.“

Michéle Demant, Koordinatorin der Bürgerstiftung Rohrmeisterei über das Flüchtlingsprojekt